Neue Behandlungsoptionen für Menschen mit Alkoholproblemen

Pressemitteilungen vom 26.04.2002


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Programme zum kontrollierten Trinken wurden im Rahmen eines Münchener Alkoholsymposiums erstmals einer großen Anzahl niedergelassener Ärzte vorgestellt.

Viele Menschen trinken in Deutschland zu viel Alkohol. Bei 3,9 Millionen der 18- bis 59- jährigen liegt Alkoholmissbrauch oder Alkoholabhängigkeit vor. 5,8 Millionen praktizieren gesundheitlich riskanten Alkoholkonsum. Ungefähr 5 % aller Beschäftigten in Unternehmen und Behörden sind alkoholkrank.
Der individuelle Leidensdruck ist groß. Dennoch nehmen Menschen mit problematischem Alkoholkonsum professionelle Hilfsangebote der Suchtkrankenhilfe nur selten und falls doch, nur sehr spät in Anspruch. Lediglich ca. 5 % aller Abhängigen kommen mit der professionellen Suchtkrankenhilfe in Kontakt.
In Deutschland verlangen Therapeuten und Berater in der Regel von Patienten bei Vorliegen eines Alkoholproblems völlige, lebenslange Abstinenz. Eine starre Forderung nach Abstinenz schreckt jedoch viele Menschen ab. Die Folgen für den persönlichen Alltag scheinen zu gravierend und unverhältnismäßig.
Viele Betroffene äußern den Wunsch, weniger zu trinken. Dieser Wunsch wird von der traditionellen Suchtkrankenhilfe in der Regel (noch) nicht unterstützt. So bleiben Betroffene häufig in einem Dilemma gefangen: Vorhandene Hilfsangebote zur Erreichung des völligen Alkoholverzicht sprechen sie (zunächst) nicht an - die Hilfe, die sie suchen, wird ihnen verwehrt.
Hier stellen die Programme zum kontrollierten Trinken eine Behandlungsalternative dar. Der Betroffene kann zwischen kontrolliertem Trinken und Abstinenz wählen. Die Schwelle, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen, sinkt hierdurch - dies ist ein zentrales Ergebnis der bisherigen Erfahrungen mit den Programmen zum kontrollierten Trinken.
Gegner des kontrollierten Trinkens legen an dieser Stelle heftigen Widerspruch ein. Für Menschen mit einer Alkoholabhängigkeit sei kontrolliertes Trinken nie mehr möglich: "Suchtdruck", "Kontrollverlust" und "hirnorganische Veränderungen - die Zelle vergisst nicht" sind hier häufig vorgebrachte Gegenargumente. Diese Ansätze können jedoch aufgrund der Forschung zum kontrollierten Trinken in dieser pauschalen Form nicht mehr aufrecht erhalten werden.
Prof. Dr. Körkel hat in den letzten Jahren zum Thema "kontrolliertes Trinken" eine Vielzahl von Veröffentlichungen vorgelegt, Vorträge gehalten und Fortbildungen durchgeführt. Jahrzehntelange Forschung im In- und Ausland haben ihn dazu gebracht, vom "Abstinenzfundamentalismus" abzurücken und weitere Behandlungsoptionen zu suchen. Internationale Studien belegen, dass viele Menschen lernen können, ihren Alkoholkonsum bewusst zu reduzieren und kontrolliert zu trinken.
Körkels Ziel wurde es, deutschsprachige Programme zum Erlernen des kontrollierten Trinkens anzubieten, die wissenschaftlicher Überprüfung stand halten und in der Praxis eingesetzt werden können. Körkel entwickelte gemeinsam mit der Projektgruppe kT zunächst das "Ambulante Gruppenprogramm zum Erlernen des kontrollierten Trinkens (AkT). Das "AkT" wird seit 1999 mit großem Erfolg in Nürnberg und inzwischen auch in einer Reihe weiterer Städte in Deutschland und der Schweiz durchgeführt. Die bisherigen Ergebnisse:
  1. Zwei Drittel der Teilnehmer hatten vor dem AkT keinerlei Hilfsangebote der Suchtkrankenhilfe wahrgenommen.
  2. Im Durchschnitt sinkt der Alkoholkonsum nach Teilnahme am AkT auf die Hälfte des Konsums vor dem Programm und er bleibt ein Jahr nach Ende des Programms stabil reduzuiert.
  3. Ungefähr die Hälfte der AkT-TeilnehmerInnen scheut sich nun nicht mehr, notwendige, weitergehende Hilfen (z.B. Einzeltherapie, Entgiftung) anzunehmen. Das heißt auch: Manche Programmteilnehmer entschließen sich während des Programms zur völligen Abstinenz. Sie tun dies nun aber aus eigener Erfahrung und Überzeugung heraus.
2001 wurde das AkT-Netzwerk gegründet. Hier arbeiten Fachkräfte aus Deutschland und der Schweiz zusammen, die selbst das AkT anbieten bzw. anbieten werden (s. Anlage 1). Im Internet unter www.kontrolliertes-trinken.de finden sich ein Verzeichnis dieser Trainer und Einrichtungen, ebenfalls aktuelle AkT-Termine.
2001 legte Körkel das "10-Schritte-Programm zum selbstständigen Erlernen des kontrollierten Trinkens" vor. Hier handelt es sich um ein autodidaktisches Programm, das Betroffene noch früher "abholt". Dieses Programm kann anonym bestellt und allein durchgearbeitet werden. Es bietet kompetente Hilfe und verlangt vom Betroffenen noch keinen Schritt nach "außen". Nach der Durcharbeitung kann der Betroffene sein Problem in den Griff bekommen - oder bereitwilliger weitere Hilfen in Anspruch nehmen. Das 10-Schritte-Programm umfasst ca. 100 Seiten und kann in ca. drei Monaten durchgearbeitet werden.
Ab Herbst 2002 wird auch das therapeutisch geleitete "Ambulante Einzelprogramme zum kontrollierten Trinken (EkT)" zur Verfügung stehen.
Körkel betont die besondere Rolle des Hausarztes in der Prävention und Behandlung von Alkoholmissbrauch und -krankheit. Werden die professionellen Hilfen der Suchtkrankenhilfe wie oben erwähnt wenig in Anspruch genommen, so geht fast jeder Mensch mit Alkoholproblemen einmal im Jahr zum Hausarzt. Hier kommt es darauf an, dass der Arzt das zugrunde liegende Alkoholproblem schnell erkennt. Für den Arzt ist es wichtig, körperliche Folgeerkrankungen erfolgreich zu behandeln, wie z.B. Polyneuropathien mit dem Nervenschutzstoff Benfotiamin. Wichtig ist es aber auch, das der Arzt sich nicht scheut, ein vorhandenes Alkoholproblem offen anzusprechen - und zwar so, dass Widerstand beim Patienten vermieden wird und der Patient in seiner Veränderungsbereitschaft unterstützt wird. Und der Arzt sollte dem Patienten geeignete Hilfsmittel anbieten können, wenn es nicht beim Appell bleiben soll.
In einer Reihe von Veröffentlichungen für die Ärzteschaft (z.B. Neurotransmitter, PNP) hat Körkel bereits Konsequenzen für die Arztpraxis dargelegt. Erstmals stellte Körkel nun in München vor einer großen Zahl von Ärzten in einem Vortrag mit anschließendem Workshop Ansatz, Grundlagen und Programme zum kontrollierten Trinken vor. Das Interesse war groß - seitens der Ärzte war eine große Bereitschaft vorhanden, diese Programme in die Sprechstunde einzubauen. Einig waren sich TeilnehmerInnen und ReferentenInnen der Tagung, dass das Ziel der Abstinenz in keiner Weise an Bedeutung verliere, dass aber zieloffene und niedrigschwellige Programme eine sinnvolle und notwendige Erweiterung des Behandlungsspektrums darstellen.
Körkel erörterte verschiedene Möglichkeiten der Kurzintervention bei Alkoholproblemen in der ärztlichen Praxis. Das Spektrum dieser Kurzinterventionen reicht dabei von der Auslage von schriftlichem Informationsmaterial in der Praxis, einer qualifizierten ärztlichen Empfehlung, einer ärztlichen Empfehlung unter Einbeziehung eines Selbstkontrollprogramms (dem 10-Schritte-Programm), ärztlicher Gespräche entlang eines Leitfadens (Beratungsmanual mit Patientenbroschüre) bis hin zur Empfehlung des "Ambulanten Gruppenprogramms zum kontrollierten Trinken (AkT)".
Im Workshop wurde das Thema vertieft und praktische Übungen durchgeführt. So diskutierten die TeilnehmerInnen die Einsatzmöglichkeiten des Diagnosefragebogens "AUDIT" und des Screening-Fragebogens "CAGE" in der Praxis. Weitere Themen waren die offene Ansprache des Tabuthemas Alkohol und die Arbeit mit dem Trinktagebuch. Das Trinktagebuch ist ein wesentlicher Bestandteil der Programme zum kontrollierten Trinken - hier werden sehr schnell individuelle Trinkmuster deutlich und eine Sensilibilisierung der Patienten erreicht.
Das Alkoholsymposium machte den Beteiligten deutlich, dass die kT-Programme im Rahmen der Sprechstunde effektiv eingesetzt werden können und eine sinnvolle Ergänzung der bisherigen Behandlungsformen darstellen. Betreut und angeboten werden die Programme zum kontrollierten Trinken von dem Fortbildungsträger GK Quest Akademie, Heidelberg. Aktuelle Informationen finden Fachkräfte und Betroffene im Internet unter www.kontrolliertes-trinken.de.

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