Two beers or not two beers? Wohnungslosigkeit und Alkohol - Fachtagung in München
Pressemitteilung vom 27.04.2005
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In Einrichtungen für Wohnungslose leben in
überwältigender Mehrheit Wohnungslose mit sehr hohem Alkoholkonsum. Alkoholismus
stellt das mit Abstand häufigste Krankheitsbild unter Wohnungslosen dar. Der
Behandlungsbedarf kontrastiert eklatant mit der Versorgungsrealität: Nur ein
geringer Teil der Wohnungslosen erhält im Hinblick auf seine somatischen,
psychischen und sozialen Suchtschädigungen adäquate Hilfen. Die klassische
Suchtkrankenhilfe, die abstinenzorientierte Therapieformen anbietet, erreicht
diese Menschen nicht in ausreichender Zahl.
Ein völliger Verzicht auf Alkohol - allein
schon aus gesundheitlichen Gründen - wäre für diesen Personenkreis sicher
wünschenswert, findet jedoch bei den Betroffenen kaum Widerhall und kann
in der Regel auch nicht zwangsweise durchgesetzt werden.
Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der
Einrichtungen für Wohnsitzlose mussten bislang damit leben, dass es keine
Methoden zur Linderung oder gar Heilung der Alkoholprobleme dieses Klientels gab.
Als einziges Mittel blieben Fremdkontrolle und Verbote, denen sich die
Betroffenen aber immer wieder entzogen.
Ein bundesweit einmaliges Projekt des
Katholischen Männerfürsorgevereins München e.V. (KMFV) mit Unterstützung
der GK Quest Akademie, Heidelberg, hat Lösungen und neue Wege im Umgang mit
Suchtproblemen in der Wohnungslosenhilfe entwickelt. Das Projekt begann 2003.
Mittlerweile sind ca. 60 pädagogische MitarbeiterInnen und 13 Einrichtungen
geschult. Die Schulung bestand darin, das Thema Alkohol und Sucht einladend
und kunstfertig ins Gespräch einzubringen. Die SozialpädagogInnen des KMFV
setzen motivierende Gesprächs-führung ein und sie bieten Programme zum
kontrollierten Trinken an.
Der Ansatz der motivierenden Gesprächsführung
geht davon aus, dass Menschen nicht änderungsunwillig sind, sondern ambivalent.
Es gibt immer Gründe für eine Verhaltensänderung und auch Gründe für das jetzige
Verhalten. Die innere Ambivalenz wird mit Hilfe der Methoden der motivierenden
Gesprächsführung an das Licht gebracht und es findet eine neue Abwägung statt.
Sozialpädagogen unterstützen dabei die Freisetzung der Veränderungsbereitschaft
und die Zuversicht, eine Veränderung auch zu bestehen.
Ist für die Betroffenen klar, dass es so
nicht mehr weiter gehen soll, dann kommt als nächster Schritt die Entscheidung
über die Richtung der Veränderung, die darin bestehen kann, ganz auf Alkohol
zu verzichten oder zu reduzieren. Auch diese Entscheidung kann nur vom
Betroffenen selbst getroffen werden und sie muss das jeweilige Können
und Wollen einbeziehen.
Viele Wohnungslose lassen sich auf einen Veränderungsprozess
gar nicht erst ein, wenn sie sich auf das Ziel "nie mehr Alkohol" festgelegt fühlen -
sei es, weil sie durch wiederholte Rückfälligkeit und negative Erfahrungen während Abstinenzbehandlungen
entmutigt worden sind oder in ihrer momentanen Lebenssituation auf Alkohol nicht vollständig
verzichten wollen oder können. Suchtarbeit mit Wohnungslosen sollte deshalb zieloffen ausgerichtet sein.
Dies bedeutet, dass der Klient nicht von vornherein auf das Ziel der Abstinenz festlegt wird,
sondern ihm Zieloptionen - unveränderte Fortführung des bisherigen Konsums, kontrolliertreduzierter
Konsum, zeitweise Abstinenz, dauerhafte Abstinenz - angeboten werden.
Neben der abstinenzorientierten Therapie hat sich in
Deutschland eine umfangreiche Forschung und Praxis zum kontrollierten Trinken entwickelt.
Dabei handelt es sich um zieloffene Programme, in denen kontrolliertes Trinken
oder Abstinenz angestrebt werden können. Einzel-, Gruppen- und auch autodidaktische
Selbstlernprogramme werden seit 1999 in Deutschland angeboten (s. www.kontrolliertes-trinken.de).
Mehrere Tausend Menschen haben bereits an diesen Programmen teilgenommen und die
Evaluationen zeigen eine Erfolgsquote von 65 % (d.h. Reduktion oder Abstinenz)
und eine durchschnittliche Trinkmengenreduktion um ca. 50 %. Die TeilnehmerInnen
dieser Programme verfügen in der Mehrzahl über eine qualifizierte Berufsausbildung,
sind berufstätig und sozial integriert - sie sind also nicht vergleichbar mit
Wohnungslosen, deren Alkoholkonsum über Jahre hinweg chronifiziert ist.
Deshalb wurden im Rahmen des Projekts die Einzel- und
Gruppenprogramme um das "WALK-Handbuch" (WALK = Wohnungslosigkeit und Alkohol) ergänzt.
Das WALK-Handbuch wurde speziell für die Einzel- und Gruppenarbeit mit Wohnungslosen
entwickelt. In ihm sind auf ca. 50 Seiten (plus 50 Seiten Anhang) zentrale Arbeits-
und Informationsblätter zum Erlernen des kontrollierten Trinkens mit vielen
Visualisierungen und wenig Text versehen worden, so dass es speziell bei
geringen kognitiven und sprachlichen Fähigkeiten gut verwendbar ist.
Diese Programme bieten ein breites Anwendungsfeld.
Sie werden in den beteiligten KMFV-Einrichtungen je nach Voraussetzungen des
einzelnen Klienten (kognitive und psychische Funktionsfähigkeit, "Gruppenfähigkeit" etc.),
eigenen Arbeitspräferenzen (z.B. für Einzel- oder Gruppenarbeit) sowie
den Bedingungen vor Ort flexibel eingesetzt.
Das Interesse der Wohnungslosen an Programmen
zum kontrollierten Trinken ist groß. So wechselte z.B. ein Drittel aller Bewohner
in der niedrigschwelligen Einrichtung "Haus an der Chiemgaustraße" vollkommen
freiwillig in Programme zum selbstkontrollierten Trinken. Gerald Winkler,
Fachreferent des KMFV München e.V. betont den sofortigen Gewinn des Projektes
in der Möglichkeit "wieder mit den Leuten über Alkohol sprechen zu können, ohne
dass bei Ihnen die Jalousien heruntergehen."
Mittlerweile starten weitere Einrichtungen der
Wohnungslosenhilfe in Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen
eigene WALK-Programme. Auch diese Erfahrungen werden im Rahmen einer Arbeitsgruppe
im Rahmen der Münchner Fachtagung vorgestellt werden.
Die Ergebnisse und die Erfahrungen aus diesem
Projekt werden von GK Quest Akademie und dem KMFV München e.V. in einer Fachtagung
in München vorgestellt. Sie findet am 26. - 27. September 2005 in München statt.
Weitere Informationen unter www.kontrolliertes-trinken.de/fachtagung bzw.
unter Tel. 06221 - 739 20 31.
Ca. 78 Zeilen à 80 Zeichen / dk 26-04-05